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Globaler Marktausblick

Unser makroökonomischer und geopolitischer Ausblick für 2024 Die geopolitischen Risiken verschärfen sich, während die Inflationsangst schwindet

Desinflationäre Tendenzen und ein langsameres Wachstum der Wirtschaft sprechen für eine weiche Landung. Die restriktive Geldpolitik der Zentralbanken und geopolitische Konflikte könnten diese Entwicklung jedoch aus der Bahn werfen.

Lori Heinel profile picture
Global Chief Investment Officer
Simona M Mocuta profile picture
Chief Economist
Elliot Hentov profile picture
Head of Macro Policy Research

2023 haben die globalen Märkte eine Vielzahl von Überraschungen und Schocks erlebt, darunter eine erhöhte Inflation, ein gedämpftes Wachstum, eine plötzliche Bankenkrise und die Fortsetzung der aggressivsten geldpolitischen Straffung seit Jahrzehnten. Mit Blick auf 2024 gehen wir davon aus, dass die Verunsicherung anhalten und das Wachstum in allen Volkswirtschaften der Welt unterdurchschnittlich ausfallen wird. Obwohl eine sanfte Landung machbar erscheint, da sich das Wachstum zwar verlangsamt, aber nicht zu kollabieren scheint, müssen sich die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung erst noch im System entfalten. Zusätzlich werden die eskalierenden geopolitischen Spannungen und anhaltenden makroökonomischen Gegenwinde die Volkswirtschaften weiter auf die Probe stellen. 2024 dürfte ein Jahr des Wandels werden, in dem viele Faktoren den Weg zu einer globalen Erholung belasten könnten.

Unserer Ansicht nach wird 2024 ein Zeitraum zur Positionierung der einzelnen Teile unserer Strategie werden. Dabei wägen wir diverse Faktoren innerhalb des makroökonomischen Umfelds ab und beurteilen, wie sie zusammenlaufen, um unseren Ausblick und unsere Portfolioansichten zu verfeinern. Wir sehen angesichts des aktuellen Renditeniveaus, des abgeschwächten Wachstums und der anhaltenden Desinflation festverzinsliche Wertpapiere im Jahr 2024 als einen Lichtblick für Anleger. In einem Umfeld erhöhter Volatilität und globaler Fragilität bleiben wir bei Risikoanlagen vorsichtig und ziehen an den Aktienmärkten Qualitätsaktien vor. Die Schwellenländer dürften angesichts des globalen Umfelds anfällig bleiben, aber wir sehen durchaus Chancen bei Schwellenländeranleihen und ausgewählten Schwellenländeraktien.

Bei derart herausfordernden Märkten ist es entscheidend, das richtige Gleichgewicht zu finden, um die richtige Portfolioumsetzung zu gewährleisten und flexibel zu bleiben, damit man auf klarere Signale reagieren kann, sobald sie auftreten. Diese und weitere Themen untersuchen wir im neusten Global Market Outlook.

Globaler Konjunkturausblick für 2024

Während des gesamten Jahres 2023 haben die globalen Volkswirtschaften angesichts des aggressivsten Straffungszyklus seit Jahrzehnten eine überraschende Widerstandsfähigkeit an den Tag gelegt. Das konjunkturelle Wachstum verlangsamt sich jedoch trotz dieser beeindruckenden Stärke der Weltwirtschaft und insbesondere der US-Volkswirtschaft (siehe Abbildung 1). Die Resilienz hat sich weitestgehend erschöpft. Die Welthandelsvolumina schrumpfen zusehends, und die weltweite Industrieproduktion stagniert im Wesentlichen gegenüber dem Vorjahr (siehe Abbildung 2). Die Nachfrage nach Dienstleistungen hat sich deutlich besser gehalten, da der pandemiebedingte Nachholbedarf erst mit einer gewissen Verzögerung gedeckt wurde. Allerdings gibt es auch hier Anzeichen für eine Abflachung. Doch Resilienz ist nicht gleichbedeutend mit Immunität, vor allem dann nicht, wenn sie aus einer langfristig nicht aufrechtzuerhaltenden Ausgabenpolitik herrührt.

Desinflation hält an

Im vergangenen Jahr waren wir davon überzeugt, dass es zu einer Desinflation kommen würde, und die neuen Daten zeigen, dass sich diese Meinung, die wir mit hoher Überzeugung vertreten haben, bewahrheitet hat. Trotz der großen Besorgnis über die hartnäckige Inflation hat sich die Desinflation im Laufe des Jahres 2023 sogar noch vertieft und ausgeweitet. Jüngste Veröffentlichungen haben zum Beispiel einen beeindruckenden Rückgang der Inflation in der Eurozone gezeigt. So ist unter anderem im Vereinigten Königreich die Inflation, die vor einigen Monaten leicht rückläufig war, inzwischen deutlicher gesunken. Diese Phase der Desinflation wird nicht ewig anhalten, aber sie ist noch nicht vorüber. Die Normalisierung der Versorgungsketten und die nachlassende Nachfrage sprechen trotz der jüngsten Volatilität der Energiekosten für eine weitere Mäßigung der Preise. Es besteht jedoch das Risiko, dass es zu einem viel größeren Inflationsanstieg kommen könnte – entweder weil sich der Konflikt im Nahen Osten ausweitet oder aufgrund von Sabotageakten oder anderen unvorhergesehenen Ereignissen. Solange der Ölpreis nicht über einen längeren Zeitraum (d. h. drei Monate oder länger) über 110 USD bleibt, dürften die bereits wirkenden desinflationären Kräfte unserer Ansicht nach den inflationären Impuls überwinden.

Bemerkenswerterweise ist die Desinflation im vergangenen Jahr ohne sichtbare Schäden für den Arbeitsmarkt verlaufen. Dieses Ergebnis spiegelt die ungewöhnlich gute Ausgangslage für die Arbeitsmärkte in den meisten entwickelten Volkswirtschaften wider. Was man sich vor einem Jahr noch erhofft hatte, ist nun Wirklichkeit geworden: Die Zentralbanken haben in ihrem Kampf gegen die Inflation mithilfe von Leitzinsanhebungen ihr Ziel erreicht, die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen zu verhindern, ohne dass dabei Arbeitsplätze vernichtet wurden. Ab hier betreten wir allerdings unsicheres Terrain. Die Zahl der offenen Stellen ist in der Tat zurückgegangen und die „Sicherheitsmarge“ wird immer kleiner. Für die Notenbanken ist es nun an der Zeit, den Straffungszyklus zu beenden und abzuwarten, bis sich die Auswirkungen der vorangegangenen Zinssteigerungen in der Volkswirtschaft entfalten. Insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo der Desinflationsprozess bereits weiter fortgeschritten ist und die Inflation in den kommenden Monaten deutlich zurückgehen dürfte, könnte die US-Notenbank (Fed) unserer Meinung nach die Zinssätze 2024 nicht nur um 50 Basispunkte senken, wie es das Dotplot vom September vorsah, sondern mindestens um das Doppelte. Wenn eine solche Abwärtsjustierung fehlt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die weiche Landung zu einer harten Landung werden könnte.

Auch wenn wir die wirtschaftliche Entwicklung zuversichtlich beurteilen, ist es immer eine Herausforderung, Prognosen für die Zukunft zu erstellen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der geopolitische Ausblick von größeren Turbulenzen geprägt ist. Der jüngste Anstieg der Ölpreise spiegelt dies wider. Mit Blick auf das Jahr 2024 dürften die zunehmend volatilen geopolitischen Verhältnisse die volle Aufmerksamkeit der Anleger erfordern.

Geopolitischer Ausblick: Achtung, es kommt das Jahr 2024!

Für das Jahr 2023 hatten wir einen relativ zuversichtlichen geopolitischen Ausblick. Nach der Invasion Russlands in der Ukraine 2022 und einer Eskalation der US-Sanktionen gegen China erwarteten wir keine großen Auswirkungen auf die Märkte. Was 2024 betrifft, sind wir jedoch der Ansicht, dass sich im kommenden Jahr viele potenzielle Bruchlinien abzeichnen – insbesondere im Zusammenhang mit territorialen Konflikten und geopolitisch wichtigen Wahlen. Unter dem Strich sind wir der Ansicht, dass sie ein ausreichendes Risiko für eine erhöhte Inflation darstellen und damit den Desinflationskurs stören könnten. Darüber hinaus könnten sie die Handelsbedingungen für die großen Volkswirtschaften beeinträchtigen. Mit anderen Worten: Geopolitische Ereignisse könnten für kleinere Stagflationsimpulse sorgen.

Bewaffnete Konflikte und Gewalt nehmen rapide zu. Besorgniserregend ist, dass dieser Trend auch für die hohe Zahl der weltweiten Konflikte gilt und dass diese immer tödlicher werden – Abbildung 3 bestätigt, dass die Zahl der Konflikte fast ein Allzeithoch erreicht hat. Die Aufschlüsselung zeigt auch den jüngsten Anstieg der internationalisierten innerstaatlichen Konflikte – d. h. wie zunehmend Bürgerkriege als Stellvertreterkriege geführt werden, wie z. B. in Syrien oder im Jemen. Das ist Ausdruck einer zunehmend multipolaren, instabilen Welt, in der zwischenstaatliche Kriege leichter vorstellbar sind als in der Vergangenheit. Noch schwieriger zu begreifen ist, dass sich diese Konflikte allmählich von der Peripherie in das Zentrum der Weltwirtschaft verlagert haben. Vor allem der Krieg Russlands in der Ukraine hat über den Rohstoffversorgungskanal einen globalen makroökonomischen Schock ausgelöst.

Geopolitische Bruchlinien und die Energiemärkte

Die Fokussierung auf mögliche Kriegsausbrüche führt zu einer Unterschätzung der Risiken für die Energiemärkte. Aufgrund der geopolitischen Zersplitterung des globalen Systems ist die Ölpolitik aller großen Energieproduzenten nun mit weiteren außenpolitischen Zielen verwoben. Anders ausgedrückt: Es gibt mehr Variablen, die den Ölpreis beeinflussen als in der Vergangenheit und daher auch mehr Quellen für Risikoprämien. Diese Dynamik hat in der Praxis dazu geführt, dass das Angebot der OPEC+1 weniger elastisch ist als im Zeitraum vor 2020. Auch die Tatsache, dass die US-Energieproduktion – wenn auch aus anderen Gründen – unelastischer geworden ist, deutet darauf hin, dass die Energiepreise asymmetrisch nach oben tendieren.

Die Vereinigten Staaten sind nicht länger ein Nettoimporteur und sind zu einem Nettoexporteur von Energie geworden. Diese Verlagerung hat die historisch leicht negative Korrelation zwischen dem US-Dollar und dem Öl umgedreht (siehe Abbildung 4). Die Korrelation zwischen dem US-Dollar und Öl erschwert die Situation für alle Importeure (und erleichtert sie für Exporteure), da jeder Boom/Bust-Zyklus verschärft wird. Bezieht man sich dabei auf neuere Daten, ist die positive Korrelation sogar noch ausgeprägter. Diese Beziehung hat geopolitische Auswirkungen, da sie die Anreize für die Swing Oil-Produzenten (d. h. die wichtigsten Staaten des Golf-Kooperationsrates (GCC)) weiter vergrößert, für eine anhaltende Angebotsverknappung zu sorgen. Dabei schlagen sich die Beziehungen der USA zu den Golfstaaten in der weltweiten Ölversorgung nieder. Das marginale Angebot verteilt sich auf weniger Orte mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit, dass sie genügend Öl liefern können, was bei gleichbleibendem Bedarf zu einem asymmetrischen Risiko eines Preisanstiegs führt. Für niedrigere Ölpreise benötigt man daher einen stärkeren Nachfragerückgang, insbesondere in den beiden größten Verbrauchervolkswirtschaften, den USA und China.

Figure 4: Correlation Between US Dollar and Oil Prices (1986–2023)

Figure 4 Macro Outlook

Steht uns eine riskantere Zukunft bevor?

Die Vereinigten Staaten und China sind zudem die beiden wichtigsten geopolitischen Pole, wo die Entspannung von 2023 durch marktrelevante Spannungen abgelöst werden könnte. Die Kriege in Europa und im Nahen Osten zeigen, wie viel enger die jeweiligen geopolitischen Blöcke zusammenarbeiten. So sind sich die G7-Staaten bei den umfassenden Russland-Sanktionen einig, und Russland, China und der Iran haben während des Krieges zwischen Israel und der Hamas ihre jeweiligen Botschaften miteinander abgestimmt. Folglich gibt es jetzt einen Mechanismus, der die an jedem noch so entfernten Ort auftretenden Bruchlinien auf die Weltpolitik überträgt – dies ist ein deutliches Echo des Kalten Krieges. In dieser Hinsicht können wir mehrere Ereignisse am Horizont ausmachen, die Risiken für den Status quo darstellen und zu Störungen führen könnten. Zum einen könnte der Krieg in der Ukraine der Beginn eines diplomatischen Prozesses einleiten. Dies verspricht zwar eine Stabilisierung des Konflikts, birgt aber auch Risiken für weitere Eskalationen. Vor allem, was die Beziehungen zwischen der EU und China anbetrifft, ist die Rolle Pekings in einem möglichen Friedensprozess von großer Bedeutung.

Zum anderen liegt der globale Wahlkalender für 2024 denkbar ungünstig. Die Präsidentschaftswahlen in Taiwan im Januar beispielsweise bergen nur Abwärtsrisiken. Eine Vielzahl von Auslösern könnte zu einer Verschlechterung des Status quo führen (z. B. große Verschiebungen in der öffentlichen Meinung Taiwans, Fehlkommunikation durch eine neue Regierung usw.). Die Bedeutung Taiwans für die Weltwirtschaft als führender Hersteller von Halbleitern hat zur Folge, dass allein Veränderungen in der Wahrnehmung der regionalen Sicherheit Auswirkungen auf die globale Risikopositionierung an den Finanzmärkten haben könnten. Und zu guter Letzt bieten die US-Wahlen im November eine weitere Bühne für geopolitische Turbulenzen. Bei so stark polarisierten Wählern wie in den USA können externe Mächte einen übergroßen Einfluss auf den Wahlausgang nehmen. Dadurch kann es in der Hoffnung, die Wahl in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, zu außenpolitischem Abenteurertum kommen.

Diese Aufzählung ist nicht umfasssed genug. Der finanzielle Niederschlag dürfte jedoch im kommenden Jahr eine höhere durchschnittliche Volatilität über alle Anlageklassen hinweg bedeuten. Insbesondere ist eine Rückkehr der vergangenen Sommerflaute bei der Volatilität der Devisen-, Aktien- und Ölkurse unwahrscheinlich (siehe Abbildung 5). Gleichzeitig sinkt die Volatilität der Anleihen aufgrund der geringeren Inflationsunsicherheit und der durch geopolitische Bedenken bedingten Käufe von sicheren Anleihen.

Fazit

Bei der Planung für das kommende Jahr müssen sich Anleger auf ein unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum und ein unbeständiges geopolitisches Umfeld einstellen, sowie auf die Sorge, ob die Notenbanken den Übergang von einer Geldpolitik, die auf die Senkung der Inflation abzielt, zu einer Geldpolitik, die die Rezessionsrisiken begrenzt, schaffen werden. Unser Basisszenario besagt, dass die Notenbanken die Leitzinsen schneller senken werden, als von den Märkten erwartet. Dies betrifft insbesondere die Vereinigten Staaten, wobei weiter Abwärtsrisiken bestehen. Das sich verändernde geopolitische Umfeld sollte ebenfalls aufgrund der unsicheren internationalen Handelsbeziehungen, der potenziell aufbrechenden bzw. eskalierenden gewalttätigen Konflikte und der Fähigkeit der Wahlen, die politische Rhetorik neu zu gestalten, genau beobachtet werden.

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