Die steigenden Renditen und das Rezessionsrisiko werden 2023 voraussichtlich nachlassen, was für eine Abwertung des US-Dollars sorgen und eine breite Rallye bei Risikoanlagen und vor allem bei Nicht-US-Aktien ermöglichen dürfte.
2022 war ein extrem schwieriges Jahr. Die Renten- und die Aktienmärkte litten massiv unter den hohen Renditen und den steigenden Wachstumsrisiken, die in erster Linie auf die hartnäckig hohe Inflation, die Straffung der Geldpolitik nahezu in Rekordtempo, die geopolitische Unsicherheit und die immer noch anhaltenden Auswirkungen der Coronakrise (besonders in China) zurückzuführen sind. Nach einem Jahrzehnt einer starken Outperformance schnitten die US-Aktienmärkte auch 2022 besser ab als die Märkte in anderen Industrieländern und in Schwellenländern: Der MSCI USA Index übertraf den MSCI ACWI ex USA Index seit Jahresbeginn um 1,5 %.1
Trotz dieser Herausforderungen sehen wir jedoch auch Hinweise auf Chancen. Der historisch starke US-Dollar (USD) hat zu dieser Outperformance seit Jahresbeginn und seit Ende 2020 beigetragen. Rechnet man jedoch die Auswirkungen des rasant steigenden USD heraus, hat der MSCI ACWI ex USA Index den MSCI USA Index in Lokalwährungen gemessen seit Jahresbeginn tatsächlich übertroffen. Das ist für Anleger gerade deshalb relevant, weil unserer Ansicht nach viel darauf hindeutet, dass der USD 2023 seinen oberen Wendepunkt erreichen und abzuwerten beginnen sollte.
Die extreme Aufwertung verdankt der USD den steigenden relativen Renditen und seiner Attraktivität als sicherer Hafen in unruhigen Zeiten. Auf kurze Sicht werden die hohen Renditen und das steigende Rezessionsrisiko den Dollar voraussichtlich weiter stützen und uns zu einer defensiven Positionierung, sprich: einer Untergewichtung in Aktien, zwingen. Mit Blick auf das kommende Jahr rechnen wir jedoch mit einer allmählichen Veränderung dieser Konjunkturlage. Ein wichtiger Treiber bei dieser Veränderung wird die Umkehr von der Inflation zur Disinflation sein sowie ein Kurswechsel der Zentralbanken zu einer wachstumsorientierten Geldpolitik. Dies dürfte zu niedrigeren Renditen führen und dazu beitragen, das Vertrauen aufzubauen, dass sich das globale Wachstum stabilisieren und schließlich wieder erholen wird. Mit anderen Worten: Die steigenden Renditen und Rezessionsrisiken, die den hohen USD maßgeblich stützen, dürften nachlassen, sodass sich der Dollar abschwächt und eine breite Ralle bei Risikoanlagen, vor allem bei Nicht-US-Aktien, möglich wird.
Ein entscheidendes Merkmal für die Stärke des USD ist seine Attraktivität als sicherer Hafen in Zeiten erhöhter geopolitischer Risiken. Diese Risiken haben die Wirtschaftsleistung 2022 außerhalb der USA vor allem in Europa und China gedämpft. Nach der Wahrscheinlichkeit der Ergebnisse ist am ehesten mit der Entstehung eines günstigeren Umfelds zu rechnen, in dem das Wachstum außerhalb der USA zum US-Wachstum aufholt. In Europa hat der Russland-Ukraine-Krieg einen massiven stagflationären Energieschock ausgelöst, der unserer Ansicht nach auch 2023 noch spürbar sein wird. An den Märkten ist der Krieg jedoch größtenteils eingepreist. Geringfügige negative Schocks werden die Märkte zukünftig vermutlich weniger beeinflussen als der anhaltende geopolitische Status quo oder sogar eine Deeskalation. Es wäre naiv, sogennante „Tail Risks“, also die Extremrisiken unvorhersehbarer Ereignisse wie der Einsatz von Atomwaffen, neue humanitäre Katastrophen oder Sabotageakte auf die europäische Energieinfrastruktur, zu ignorieren. Dennoch lässt die Wahrscheinlichkeit weiterer signifikanter makroökonomischer Schocks nach. Die Wahrnehmung steigender Tail Risks mag bei ukrainischen Erfolgen auf dem Schlachtfeld zunehmen, aber die Rückeroberung russisch besetzter Gebiete dient auch dazu, den Konflikt näher an eine Endphase oder ein Stabilisierungsszenario zu bringen.
Chinas „Null-COVID“-Politik hat das Wachstum in 2022 gedämpft. Im Verlauf von 2023 wird China aller Wahrscheinlichkeit nach die Beschränkungen lockern; das Ausmaß und die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Effekte bleiben jedoch abzuwarten. Sicherlich wird diese Lockerung das chinesische Wachstum im Vergleich zu 2022 ankurbeln und auch dazu beitragen, dass die Kluft zum Wachstum außerhalb der USA geringer wird. Mehr negative geopolitische Auswirkungen durch die Spannungen zwischen den USA und China wird es unseren Erwartungen nach erst geben, wenn China die wirtschaftlichen Bedingungen wieder völlig normalisiert hat. In dieser Hinsicht ist der kurzfristige Ausblick also ebenfalls ermutigend.
Den Ausblick für Aktien betrachten wir in erster Linie aus der Perspektive der Fundamentaldaten, Bewertungen/Abzinsungssätze und Positionierung.
Die Fundamentaldaten waren 2022 weltweit belastet, was unseren Erwartungen nach noch bis 2023 anhalten wird. Der globale Ausblick ohne China deutet fast überall auf eine Verlangsamung hin, was nahelegt, dass wir nach einem ziemlich schwachen Jahr 2022 für 2023 nur mit einer leichten Erholung der Unternehmensgewinne rechnen können. In den USA haben sich die Gewinne 2022 bisher etwas erholt, aber durch den drastischen Anstieg des Dollars werden wir voraussichtlich beträchtlichen Gegenwind sehen. Wir gehen nicht davon aus, dass das Wachstum der Gewinne je Aktie (EPS) im nächsten Jahr in irgendeiner der wichtigen Aktienregionen höher als im mittleren einstelligen Bereich liegen wird. Der deutliche Vorteil, den die USA in Bezug auf das EPS-Wachstum hatten, könnte dadurch jetzt vielleicht fraglich sein.
Die Bewertungen von Nicht-US-Aktien befinden sich auf einem durchschnittlichen Niveau, während die Bewertungen von US-Aktien immer noch verhältnismäßig überhöht sind. Es ist schwierig zu sagen, ob Nicht-US-Aktien attraktiv bewertet sind – weder in den Industrieländen ohne die USA noch in den Schwellenländern, die dieses Jahr um 30 % gefallen sind. Sowohl Aktien aus Schwellenländern als auch Aktien aus Industrieländern ohne die USA notieren ziemlich nahe ihrer langfristigen Durchschnitte, sind im Vergleich zu US-Aktien aber immer noch verhältnismäßig günstig. In der Vergangenheit haben attraktive Preisniveaus (allein) nicht ausgereicht, um angesichts des hohen Profitabilitätsgefälles und des Innovationsvorsprungs der US-Unternehmen erhebliche Kapitalströme anzuziehen. Wenn das Bewertungsniveau im Vergleich zur Vergangenheit sehr niedrig ist, würden einige Anleger versuchen, Positionen zu erwerben, die sie in Erwartung künftiger Verbesserungen gerne halten würden. An diesem Punkt sind wir aber noch nicht angelangt. Andererseits werden die steigenden Zinsen vermutlich Druck auf die Bewertungen von Anlagen mit langer Duration ausüben, die in den USA zahlreich vorhanden sind.
Die Positionierung ist ein entscheidender Bereich, in dem wir bei Nicht-US-Anlagen Aufwärtspotenzial erkennen. Andere Volkswirtschaften rund um den Globus sind signifikante langfristige Anleger in auf USD lautenden Vermögenswerten. Institutionelle Anleger weisen die höchsten Übergewichtungen in den USA seit etwa 25 Jahren auf (siehe Abb. 1). In den Schwellenländern hingegen sind institutionelle Anleger über einen ähnlichen Zeitraum stark untergewichtet (siehe Abb. 2). Wird dieser Trend langfristig anhalten? Wir gehen davon aus, dass die Antwort „nein“ lautet. Die Lage deutet auf eine Umkehr hin. Diese Entwicklung erfordert irgendeinen Auslöser, der Anleger dazu anregt, Positionen außerhalb des sicheren Hafens der US-Währung aufzubauen. In der Vergangenheit blieb eine Positionierung auf diesem Niveau nie lange so einseitig, denn irgendeine Bewegung wird es immer geben. Der Zeitpunkt eines Auslösers mag vielleicht ungewiss sein, auf mittlere Sicht macht eine gewisse Umschichtung unserer Ansicht nach aber durchaus Sinn. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen seine Handelsgeschäfte vorzubereiten.